Biomechanische Parameter zur Quantifizierung von Tragekomfort

Evaluation der Relativbewegung zwischen Helm und Kopf

Kratzenstein, S., Habenicht, J., Greiner, S. und Behrenbruch, K.

Hintergrund

Die Sportwissenschaft pflegt eine enge Verwandtschaft zur Ergonomie. Beide Wissenschaftsdisziplinen unterstützen Studierende im Zuge ihrer Professionalisierung für ähnliche Anwendungs- und damit auch Berufsfelder. Während die Sportwissenschaft Bewegungen und Belastungen in einem sportlichen und zunehmend auch gesundheitlichen Kontext analysiert und gestaltet, tut dies die Ergonomie in der Gestaltung von Arbeitsplätzen und ist damit auch ein interessantes Ausflugsziel für Studierende der Sportwissenschaft.

Das Tragen von Helmen zählt in Berufen wie dem Feuerwehrdienst zu den alltäglichen Schutzmaßnamen. Bei extensivem Tragen kann sich dies belastend auf den Bewegungsapparat auswirken, Aufmerksamkeit absorbieren und langfristig auch zu gesundheitlichen Problemen führen.

Das Bewegungslabor unterstützt in diesem Zusammenhang Benkana Interfaces (ehemals humanergonomics UG) bereits seit 2014 bei der Evaluation von biomechanischen Parametern zur Quantifizierung von Tragekomfort. Diese Unterstützung findet in der Regel durch eine Integration der Lehre in die Forschungsprojekte statt.

Schwekendiek (2014) und Völker (2015) erfassten die Muskelaktivität der kopfstützenden Muskulatur während ihre Kommilton*innen eine Folge Big Bang Theorie schauten. Diese Aktivität deckt sich sicherlich nicht mit dem Aufgabenspektrum des Feuerwehrdienstes, stellt aber durchaus ein ähnliches Belastungsmuster dar, wenn Feurwehrbeamt*innen am Einsatzort im Wachdienst über längere Zeit den Helm tragen müssen. Die Analyse zeigte, dass die Elektromyografie (EMG) entweder nicht ausreichend sensitiv ist, um ermüdungsbedingte Effekte zu detektieren oder dass keine Effekte auftreten, da die stützenden Muskulatur unter Umständen inaktiv ist, wenn die aufrechte Körperhaltung das Tragen des Helms durch die skeletalle Struktur gewährleistet wird.

Rathjen (2016) und Wanstrath (2016) untersuchten in einem ähnlichem Zusammenhang die Gestaltung von Tragsystemen auf die Aktivierung der Muskulatur. Sie fokussierten ihre Untersuchungen allerdings auf die Analyse von amplitudenbasierten EMG Parametern und zeigten, dass es bei einem Großteil der Testpersonen durch eine kontrollierte Veränderung der Anbindungspunkte zu systematischen Veränderungen in der Muskelaktivierung kam. Weitere Untersuchungen zum Helmtragen wurden mittels EMG nicht durchgeführt, da sich das EMG Signal als zu individuell ausgeprägt und nur unzureichend reproduzierbar zeigte (Knack, 2017).

Stattdessen wurde im Rahmen von Seminaren (2016, 2017) die Relativbewegung des Helms zum Kopf analysiert. Grundlegend für diesen Ansatz war die Hypothese, dass eine gegensätzliche Bewegung zwischen den Körpern von den Testpersonen wahrgenommen wird und anhand des Ausmaßes der Bewegung als komfortabel oder nicht komfortabel bewertet wird. Unklar ist und war bisweilen, in welchem Zusammenhang die Amplitude und die Bewertung stehen, da sich das Optimum der Bewegung hypothetisch in einem Bereich von Bewegungskontrolle und Stoßdämpfung bewegt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bewegung und ihre Wahrnehmung von multiplen internen (z.B. Muskelkraft) und externen (z.B. Bewegungsform, Haarvolumen) Faktoren abhängt. Diese Faktoren sollen im folgenden Projekt analysiert werden.

In dem aktuellen Experiment soll zur systematischen Überprüfung des Komfortkriteriums der Zusammenhang zwischen dem Anzugsmoment und der Relativbewegung untersucht und mit Blick auf die Reproduzierbarkeit evaluiert werden.

Methode

Schematische Darstellung Untersuchungsaufbau
  • Bewegungsanalysesystem OptiTrak (100Hz)
  • Modellierung Visual3D professional (v.5)
  • 1 Richtungswechsel pro Takt bei 130 bpm (Metronom-App)
  • Parameter: Amplitude der relativen Helmbewegung zwischen Helm und Kopf beim Wechsel der Schwenkrichtung [°]
  • 10 vollständige Bewegungszyklen pro Set
  • Erneute Kalibrierung vor jedem horizontalem und vertikalem Set
  • Reihenfolge der Anzugsmomente randomisiert
  • Helmposition wurde nicht zwischen den Sets korrigiert

Ergebnisse

Darstellung der Rotationsbewegung zwischen Helm und Kopf beim vertikalen Nicken. Verlauf ist auf einen Schwenkzyklus normiert (100%). Mittlerkurven (fett) entsprechen dem mittleren Verlauf aus 10×10 Schwenkbewegungen. Schattierung stellt die Standardabweichung aus allen Zyklen dar.
Bewegungsamplituden aus 10×10 vertikalen Schwenkzyklen.

Darstellung der Rotationsbewegung zwischen Helm und Kopf beim horizontalen Schwenken ist auf einen Schwenkzyklus normiert (100%). Mittlerkurven (fett) entsprechen dem mittleren Verlauf aus 10×10 Schwenkbewegungen. Schattierung stellt die Standardabweichung aus allen Zyklen dar.
Bewegungsamplituden aus 10×10 horizontalen Schwenkzyklen.

Diskussion

Die Anzugsmomente entsprachen den Wahrnehmungen „zu unangenehm für ein längeres Tragen (High), „genau richtig“ (Med) und „zu locker“ (Low).

Das Anziehen des horizontalen Kopfbandes wirkt sich nur auf die horizontale Schwenkrichtung aus. Die Rotation um die Transversalachse ist nicht beeinflusst. Der Einfluss des Anzugsmomentes auf die Rotation um die Longitudinalachse ist beim horizontalen Kopfschwenken ist hingegen signifikant und reproduzierbar.

Bei Längsschnittuntersuchungen, in welchen Testpersonen wiederholt den Tragekomfort eines Helmes testen, muss die Anpassung des Helms (Anzugsmomente) dokumentiert werden, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Messzeitpunkten gewährleisten.

Literatur

Knack, J. (2017). Test-Retest-Reliabilität myoelektrischer Signale beim Helmtragen (unveröffentlichte Masterarbeit). Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. (in co-operation with humanergonomics)

Rathjen, F. (2016). Auswirkungen einer Höhenverstellung eines Tragesystems auf die Aktivität der tragenden Muskulatur.  (unveröffentlichte Bachelorarbeit). Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. (in co-operation with humanergonomics)

Schwekendiek, S. (2014). Einfluss des Helmtragens auf die statische Haltearbeit der Nacken- und Rückenmuskulatur in Abhängigkeit der Kraftfähigkeit. (unveröffentlichte Masterarbeit ). Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Völker, T. (2015). Einfluss der Fenstergröße der Fast Fourier Transformation auf die Interpretation des myoelektrischen Signals in Hinblick auf die Muskelermüdung. (unveröffentlichte Masterarbeit ). Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Wanstrath, M. (2016). Reliabilitätsanalyse eines neuen Messaufbaus zur Evaluation von Tragesystemen: Erfassung der Muskelaktivität bei standardisierten Armbewegungen. (unveröffentlichte Masterarbeit ). Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. (in co-operation with humanergonomics)