Chalubowicz, M.
Die Durchführung von Bewegungsanalysen erlebt durch die steigende Portabilität von Messsystemen eine Erweiterung hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in wettkampfspezifischen Bedingungen. So können Athletinnen und Athleten biomechanischen Analysen in relevanten Umgebungen unterzogen werden (Adesida et al., 2019). Gleichzeitig sollte darauf hingewiesen werden, dass vor allem auch Studierende der Sportwissenschaft in Vorbereitung auf potentielle Berufsfelder die Bedeutung von Messbedingungen bei der Planung von Untersuchungen und bei der Interpretation der Messdaten berücksichtigen sollten. Mithilfe von zahlreichen Rezeptoren nimmt der Mensch kontinuierlich externe sowie interne Reize wahr, bevor das Zentrale Nervensystem diese verarbeitet und sportliche Bewegungen situationsadäquat über den Prozess der Bewegungsprogrammierung und Bewegungsregulation anpasst (Laube, 2011).
Der Laufuntergrund bzw. die Laufumgebung stellen solche Variablen der Untersuchungsplanung dar. Auf Grundlage jener Erkenntnis soll der Einfluss der Variation von Bodenbelägen auf die Laufkinematik eines erfahrenen Läufers ermittelt werden. Zu diesem Zweck ist ein Proband mit Lauferfahrung auf fünf verschiedenen Bodenbelägen mit 12 km/h (5:00 min/km) gelaufen. Während der Aktivität wurden die Gelenkflexionen der Hüfte, des Knies und des Sprunggelenks in der Sagittalebene mit einem Inertialmesssystem aufgezeichnet.
Methode
Labor- und Felduntersuchung
- Die Gelenkflexionen der Hüfte, des Knies und des Sprunggelenks wurden mit IMUs gemessen.
- Der Proband lief jeweils dreimal 100 m auf unterschiedlichen Bodenbelägen (Laufband WOODWAY, Laufband PRO-FORM, Asphalt, Laufbahn, Rasen).
- Damit die Ergebnisse valide sind, wurden pro Trial 24 Schrittzyklen analysiert (Galna et al. 2013). Insgesamt wurden für jedes Gelenk pro Bodenbelag 72 Schrittzyklen ausgewertet.
- Während der Läufe sollte die Geschwindigkeit konstant bleiben, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Messungen zu gewährleisten (3,33 m/s bzw. 5:00 min/km).
Inertialmesssystem
- System: Noraxon, myoMotion, USA
- Software: MR 3.16
- Aufnahmefrequenz: 100Hz
- Anzahl Sensoren – Inertial Measurement Units (IMUs): 4
- Herstellerangaben zur Genauigkeit: +/- 2° bei dynamischen Bewegungen
- Kalibrierung: standing straight, alle Gelenkwinkel neutral, also 0° (Abb. 1)

Durchführung
Bevor die Datenaufzeichnung begann, gewöhnte sich der Läufer über 800 m an jeden der verschiedenen Untergründe. Ein Hauptkriterium bei der Probandenauswahl war die Fähigkeit, über 100 m ein konstantes Tempo von 3,33 m/s bzw. 5:00 min/km laufen zu können. Nach jedem Durchlauf erfolgte eine 5-minütige Pause, um Ermüdungserscheinungen zu vermeiden und eine Kontrolle der IMUs hinsichtlich ihres Sitzes mit anschließender Kalibrierung. Die unilaterale Aufzeichnung der Bewegungsdaten erfolgte am rechten Bein.
Auswertung
Die aufgezeichneten Daten wurden mit der Systemsoftware MR 3.16 verarbeitet. Das Vier-Phasen-Modell nach Bauersfeld und Schröter (1985) galt als Orientierung zur Bestimmung eines Schrittzyklus-Beginns und -Endes. Nach diesem Prinzip wurden pro Bodenbelag 72 Schrittzyklen definiert und zu einem gemittelten Schrittzyklus modelliert. Um eine präzise Verortung von Unterschieden zwischen den Gelenkflexionen zu ermöglichen, wurde der gemittelte Schrittzyklus in vier Phasen eingeteilt (Marquardt, 2012). Das Video demonstriert die Unterteilung in die vordere und hintere Stützphase sowie die hintere und vordere Schwungphase.
Im Anschluss erfolgte die Signifikanzprüfung mit 95 % Konfidenzintervallen. Diese stellen den farbigen Bereich um die jeweiligen Kurven zu jedem Zeitpunkt des gemittelten Schrittzyklus dar. Signifikante Unterschiede sind zu erkennen, wenn sich die Konfidenzintervalle nicht berühren. Die Gelenkflexionen beim Laufen auf Asphalt gleichen denen von Laufbahn/Rasen und wurden für die Übersichtlichkeit aus den Diagrammen entfernt.
Ergebnisse
Hüftflexion

Knieflexion

Sprunggelenkflexion

Insgesamt lassen sich bei allen drei Gelenkflexionen signifikante Unterschiede zwischen dem Laufen auf verschiedenen Bodenbelägen erkennen und eine Unterteilung in motorisierte und nicht-motorisierte Untergründe vornehmen. Betrachtet man die Kurven von WOODWAY und PRO-FORM (motorisiert) sowie Laufbahn und Rasen (nicht-motorisiert), sind jeweils ähnliche Verläufe sichtbar.
Zykluslänge und Schrittfrequenz

Die sichtbaren Differenzen in der Laufkinematik des Probanden auf allen fünf Bodenbelägen haben zu dem Gedanken geführt, die Schrittfrequenz und die Schrittzykluslänge während des Laufens auf den verschiedenen Bodenbelägen zu vergleichen. Die Betrachtung quantitativer Parameter zeigt, dass sich das Laufen auf PRO-FORM von den anderen Bodenbelägen unterscheidet.
Diskussion
- Die Ergebnisse des Experiments verdeutlichen die Relevanz eines reflektierten Umgangs mit Bewegungsanalysen.
- Der Vergleich der Gelenkflexionen beim Laufen auf unterschiedlichen Bodenbelägen brachte signifikante Unterschiede in unterschiedlichen Phasen des Schrittzyklus hervor.
- Es lässt sich eine Unterscheidung in motorisierte und nicht-motorisierte Untergründe vornehmen.
- Anhand der Ergebnisse wird sichtbar, dass die Laufkinematik des Probanden durch die Variation von Bodenbelägen und damit einhergehend auch durch die Variation kinetischer Parameter beeinflusst wurde.
- Die Zielstellung dieses Experiments konnte trotz der veränderten Laufkinematik des Probanden erreicht werden (3 x 100 m Lauf mit einer Laufgeschwindigkeit von 3,33 m/s bzw. 5 min/km).

- Betrachtet man die Kurvenverlaufe der verschiedenen Gelenkflexionen, so lassen sich große Abweichungen (farbiger Bereich um die Kurve) beim Laufen auf PRO-FORM feststellen. Diese sollen im Folgenden detaillierter diskutiert werden.
- In der VST geschieht der Aufprall des Läufers auf das Laufband. Hier sind hohe Abweichungen in der Hüftflexion zu sehen. Im Verlauf nimmt die Abweichung auch in der Sprunggelenkflexion zu. Der Fuß wird in Richtung Körperschwerpunkt bewegt und stützt zunehmend mehr Gewicht.
- Die HST bereitet den Läufer auf einen optimalen Abdruck des stützenden Fußes von PRO-FORM vor. Das gesamte Bein befindet sich hinter dem Körperschwerpunkt des Läufers. Besonders die Knieflexion weist ab der Hälfte dieser Phase große Abweichungen auf.
- Die Hüftflexion und die Knieflexion zeigen beide große Abweichungen in der HSW. Hier verlässt der Fuß das Laufband, von dem er abgedrückt wird. Der Läufer befindet sich in der Luft. Im Verlauf der HSW landet der zweite Fuß auf dem Laufband, was wieder für eine Störung des Gleichgewichts des Läufers sorgt. Dies ist auch in der HSW der Hüfte zu erkennen.
- Insgesamt können markante Abweichungen bei allen drei Gelenkflexionen während des Laufens auf PRO-FORM festgestellt werden. Besonders die Phasen VST, HST und HSW werden durch den Untergrund beeinflusst. Während die VST und HST mit diesem in Berührung stehen, sind in der HSW Folgen vom Abdruck des Fußes sichtbar.
- Auch die Zykluslänge und Schrittfrequenz auf PRO-FORM unterscheiden sich von den untersuchten Bodenbelägen trotz der gleichen Geschwindigkeit.
- Es lässt sich vermuten, dass jene Ergebnisse durch die Dämpfungseigenschaft und die Stabilität des Laufbands zustande kommen. Bei einem stark nachgebenden und instabilen Untergrund wird der Läufer permanent in seinem individuellen Gleichgewicht gestört und muss mithilfe der Bewegungsregulation über die Stellung von Gelenken und Kontraktion von Muskulatur die Laufbewegung aufrechterhalten.
- Vergleicht man die Kurven der Gelenkflexionen von WOODWAY und PRO-FORM, sind ähnliche Verläufe sichtbar. Große Abweichungen sind hingegen nur bei PRO-FORM festzustellen. Das PRO-FORM Laufband ist für den Freizeitbetrieb ausgelegt, während das WOODWAY Laufband für medizinisch diagnostische Zwecke genutzt wird. Zudem unterscheiden sich die beiden Geräte in einem zweistelligen Preisrahmen.
Die Ergebnisse verdeutlichen den Einfluss von Umweltbedingungen auf eine Bewegungsanalyse. Im Experiment wurde lediglich ein Parameter, nämlich der Bodenbelag, variiert und doch sind signifikante Unterschiede bei den untersuchten Gelenkflexionen sichtbar. In einer weiteren Studie hat Stößel (2021) mit seinem Experiment den Einfluss der Ermüdung auf die Laufkinematik untersucht und ist zu aussagekräftigen Ergebnissen gekommen. Das Anwendungsfeld der Bewegungsanalyse ist jedoch nicht nur auf das Laufen beschränkt. Auch bei der Aufzeichnung weiterer zyklischer oder azyklischer Bewegungen sollten alle Messbedingungen reflektiert betrachtet und bei der Interpretation der Messdaten berücksichtigt werden.
Literatur
Adesida, Y., Papi, E., McGregor, A. H. (2019). Exploring the role of wearable technology in sport kinematics and kinetics. A systematic review. Sensors, 19 (7), 1597, S. 1-28.
Galna B, Lord S, Rochester L. (2013). Is gait variability reliable in older adults and Parkinson’s disease? Towards an optimal testing protocol. Gait & Posture, 37 (4), 580– 585.
Laube, W. (2011). Physiologie, Leistungsphysiologie, Pathophysiologie. In A. Hüter-Becker & M. Dölken. (Hrsg.), Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie, Trainingslehre (S. 129-309). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
Marquardt, M. (2012). Laufen und Laufanalyse. Stuttgart: Thieme Verlag.
Downloads
Marcel Chalubowicz
Studium: Sportwissenschaft und Geschichte (Bachelor of Arts)
