Auswirkungen der Kalibrierung auf die Validität und Reliabilität des Inertialmesssystems

Marcel Chalubowicz & Stefan Kratzenstein

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Einleitung

Eine Inertialmesseinheit (inertial measurement unit, IMU) besteht i.d.R. aus einem Beschleunigungssensor, einem Gyroskop und einem Magnetometer. Das Magnetometer wird dabei verwendet, um die Gierung, die Rotation um die vertikale Achse (yaw-Rotation), zu messen und damit dem Drift des Gyroskops entgegenzuwirken (Ahmad, Ghazilla & Khairi, 2013). Da dieser Drift aber nicht vollständig korrigiert werden kann und die Messung zudem durch die ferromagnetische Umgebung abhängig ist, ist stets eine erneute Kalibrierung notwendig. Der Zeitpunkt der erneuten Kalibrierung ist vom Hersteller mit „[…] Frequent re-calibration of sensors within test series is recommended. (Noraxon, 2020, S. 25)“, angegeben.

Für die Analyse von Bewegungen, welche über einen längeren Zeitraum andauern, ist jedoch ein präziseres Verständnis des Einflusses der Kalibrierung notwendig, um die Messungen zuverlässig planen zu können. Ziel dieser Untersuchung ist es, diesen Zeitpunkt durch ein kontrolliertes Aussetzen der Kalibrierung während eines Modellversuchs zu analysieren.

Methode

Messvorrichtung zur Flexionsprüfung

  • Zur Überprüfung der Auswirkungen von Kalibrierungen auf die Validität und Reliabilität des Inertialmesssystems wurde eine Messvorrichtung mit einem mechanischen Scharniergelenk genutzt.
  • Die Justierung des Bewegungsumfangs erfolgte mit einer Präzisionswinkelmesslehre.
  • Die Bewegungsamplitude von 90° wurde durch mechanische Anschläge begrenzt.

Inertialmesssystem

  • System: Noraxon, myoMotion, USA
  • Software: MR 3.16
  • Aufnahmefrequenz: 100Hz
  • Anzahl Sensoren – Inertial Measurement Units (IMUs): 2
  • Herstellerangaben zur Genauigkeit: +/- 2° bei dynamischen Bewegungen
  • Validierungsgerät: Gelenkhebel als Simulation für Ober- und Unterarm
  • Kalibrierung: standing straight, alle Gelenkwinkel neutral, also 0° (Abb. 1)
Abbildung 1: Neutralstellung des mechanischen Gelenks

Durchführung

Mittels der mechanischen Messvorrichtung wurde eine gleichmäßige, durch ein Metronom begleitete (50 bpm), 90° Flexion simuliert. Zusätzlich zum Inertialmesssystem wurde das optische Marker-Tracking-System von Optitrak als Referenzsystem genutzt. Die Kalibrierung des Optischen Marker-Tracking-Systems erfolgte vor dem ersten Trial beider Tests.

Auswertung

Die Auswertung der Messdaten erfolgte mithilfe der Systemsoftware MR 3.16, in der die automatische Eventerkennung die relevanten Extremwerte markierte. Jene Minima und Maxima der 10 Bewegungszyklen wurden aus den Winkel-Zeit-Verläufen extrahiert und für die Darstellung der Ergebnisse genutzt.

Die Boxplots zeigen die gemessenen Gradzahlen der jeweiligen Flexionen pro trial, wobei die tatsächlich erfolgten Bewegungsamplituden während der Flexionen in den Tabellen abzulesen sind. Max steht dabei für den maximal erreichten Wert, ROM (range of motion) für die maximal gemessene Flexion abzüglich des ausgehenden Minimalwerts, bei dem die Wiederholung begann. Alle Werte sind in Grad zu verstehen.

Ergebnisse

Die Messungen ohne erneute Kalibrierung erfolgten in einem zeitlichen Abstand von einer Minute. Die Messungen mit erneuter Kalibrierung wurden zeitunabhängig durchgeführt. Abgebildet sind Dichte (oben) aller Messwiederholungen (N=10×10) und die extrahierten Maximalwerte gruppiert nach Datensätzen. Die breite der Violinen-Charts dokumentiert die Verteilung der Einzelwerte jedes Zyklus.

Diskussion

  • Der Vergleich der Messysteme führte zu einem Unterschied innerhalb von 2°. Wobei die Analyse des OptiTrak System die Zielgröße um etwa 2° überschätzte.
  • Die erneute Kalibrierung des Noraxon führte zu einer stärkeren Varianz in den Messergebnissen, während die Messreihe ohne erneute Kalibrierung über einen Zeitraum von insgesamt 8 Minuten in konstanten Ergebnissen resultierte.
  • Die Notwendigkeit einer Kalibrierung nach 4 Minuten kann in diesem Fall nicht bestätigt werden. Allerdings ist zu beachten, dass das Magnetometer und Gyroskop des Sensors während dieser Bewegung einer geringeren Einfluss auf die Analyse haben. Auf gelenknahen Positionen ist zu erwarten (z.B. Innen- oder Außenrotationen von Körpersegmenten wie z.B. dem Oberarm), dass sie einen sensibleren Einfluss haben. Dies bleibt in einem weiteren Experiment zu überprüfen.
  • Das Experiment verdeutlicht den enormen Einfluss der Kalibrierungsroutine auf die Ergebnisse – selbst unter diesen stark standardisierten Rahmenbedingungen. Während diese Studie konzipiert wurde, um den optimalen Zeitpunkt einer erneuten Kalibrierung zu ermitteln, um rechtzeitig die Güte der Messung zu sichern, zeigte sich stattdessen, dass die Kalibrierung des Systems zu einer neuen Messsituation führte.
  • Bei der Analyse der Messergebnisse muss somit beachtet werden, dass Unterschiede innerhalb von 2° im Messfehlerbereich liegen.

Literatur

Ahmad, N., Ghazilla, R. A. R. & Khairi, N. M. (2013). Reviews on Various Inertial Measurement Unit (IMU) Sensor Applications. International Journal of Signal Processing Systems, 1 (2), S. 256 – 262.

Noraxon (2020). myoMotion. Sensor and Receiver User Manual (Rev H). Zugriff unter https://kielmotionlab.files.wordpress.com/2020/09/p-6808-myomotion-manual.pdf

Daten